"Zusammenfassend läßt sich etwa sagen: ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter". (Erich Kästner)
So mancher braucht zum Erzählen seines Lebens Trillerpfeifen, Pauken und Trompeten. Alfred Goodman braucht Zeit. Sein Bericht besteht nicht aus dem Auslassen, Ausradieren von Mitmenschen und Weggefährten, zur Vergrößerung der eigenen Person. Alfred Goodman spinnt in Stunden ein Netz von Freunden, Kollegen, bewunderten, vorbildlich faszinierenden Menschen, die seinen Weg begleitet haben, deren Weg er begleitet hat. Seine Erinnerungen sind auch Jahrzehnte später frisch, klar, detailliert. Im Gespräch wirkt er ungemein lebendig, sehr reaktionsschnell, voller Humor und Ironie, vor allem auch Selbstironie. Von Abklärung, Altersweisheit keine Spur, sein Geist ist rascher noch als seine Zunge, er liebt das Detail. Wachheit wird ergänzt durch die Fähigkeit zur Distanz, stets ist der Wille zur Selbstbehauptung spürbar. Die eigene werte Person schont er nicht, niemals. Meine Freunde hatten's mit mir schwer und meine Frauen auch. Ich war schwer zu verdauen.

Goodman stellt seiner eigenen Lebensschilderung den obigen Satz aus Erich Kästners "Kurzgefaßter Lebenslauf" voran. Darin gibts auch die Zeilen Ich wurde seinerzeit als Kind geboren, eh ichs gedacht. In Goodmans Fall geschah das am 1. März 1919 in Berlin. Das einzige Kind schlesischer Eltern, Sohn von Dr. Oskar Guttmann und seiner Frau Paula, geb. Joseph. Alfred wurde in ein musikalisches Haus geboren, was er spätestens im Alter von vier Jahren bemerkte, als die Familie nach Breslau umzog. Die Mutter, lyrischer Sopran, gab ihre Bühnenpläne wegen des Sohnes auf und wurde Gesangspädagogin. Der Vater, anerkannter Musikschriftsteller und Kritiker, profilierte sich im Schlesischen Rundfunk als Repräsentant der zeitgenössischen Musik. Vor allem führte er Arnold Schönberg und die Wiener Schule ein, zum Entsetzen seiner Umgebung - man hielt ihn für einen "Kulturbolschewisten".

Die Volksschule behagte Alfred nicht sonderlich, so kam er in die Privatschule von Gertrud Wohl. Die aufgeschlossene, moderne Pädagogin war ungemein an Kunst und Musik interessiert. Alfred zeigte zunächst kein besonderes Interesse an der Musik, doch gefielen ihm amerikanische Schlager. Trotzdem prägten ihn die Eltern, er hörte die Vorträge des Vaters, machte seine Schulaufgaben im Musikzimmer, und auch am Musikunterricht der Mutter nahm er (im Zimmer nebenan) gewissermaßen teil.

Nach der Wohlschen Privatschule kam der Sohn ins Johannes-Gymnasium. 1931 merkte Alfred, daß sich das Leben änderte; er wurde in Breslau als "beschissener Judenjunge" angepöbelt. Ein SA-Mann trat ihn, es ging glimpflich ab, doch seitdem ist ihm das Gleichgewicht gestört, ihm wird schwindlig, Radfahren geht so wenig wie Runtergucken.

Alfred Goodman betont noch heute, daß er nicht erst durch das 3. Reich zum Internationalisten wurde. Sein Elternhaus sei kosmopolitisch gewesen, ohne Sinn für Patriotismus, interkonfessionell und international. Ich bin nirgends zu Hause, Gott sei Dank, ich gehöre nirgendwo hin. In USA und England war ich auch nicht zu Hause. Meinen Beruf habe ich in Amerika erlernt, in England habe ich sehr gern gelebt - aber Heimatgefühle, Patriotismus, Nationalismus kenne ich nicht.

Im Herbst 1931 kam die Rückkehr der Familie nach Berlin. Oskar Guttmann wurde Chordirigent an der Synagoge an der Oranienburgerstraße und schrieb weiter Kritiken. Die Mutter interpretierte 1932 die Erstsendung der "Hängenden Gärten" von Schönberg im Deutschlandsender.

Alfred improvisierte am Klavier und fing an zu komponieren, Schlager, zum Entsetzen vor allem des Vaters. Mit 15 wollte er dann Musiker werden. Schon damals keimte seine Liebe zu Big Bands - Kaffeehausmusik und Kapellen verfolgte er im Radio. In der Klassik galt seine Vorliebe Bach und Händel. Musiker hätte ich eigentlich nicht werden können, weil ich mich zu der Zeit bei Beethoven gelangweilt habe.

Die Schule haßte er, fand sie langweilig. Die Philologen schienen ihm, von wenigen Ausnahmen abgesehen, begrenzt, stumpfsinnig. Mit vielen Hausaufgaben war er in Latein passabel, auch in Alt-Griechisch; Mathematik, Physik und Chemie hat er nie begriffen.

Sie waren drei jüdische Schüler, geduldet, man tat ihnen nicht weh, aber ließ sie merken, daß sie etwas anderes waren. Als ganz Junger, mit 13 Jahren, sagt Goodman, habe er zu fühlen bekommen, daß Symbiosen zwischen Deutschen und Juden eine Illusion sind. Ich habe schnell gelernt, an diese Dinge nicht zu glauben. Ich finde es auch charakterlos von den jüdischen Mitbürgern, sich immer wieder anzupirschen, und die Deutschen lachen darüber. Ich habe mich nie drum gekümmert.

Berlin 1933. Die Hitleranhänger, die sich später an nichts mehr erinnern sollten, hatten jedes Fenster geflaggt. Ein Onkel, einer der Ersten, die umkamen; es sind alle umgekommen, gab ihm "Mein Kampf" zu lesen, er sollte wissen, was los war. Auf sein Anraten hin hat er damals auch Marx gelesen.

1937 mußten die jüdischen Schüler das Reifezeugnis machen, eine lächerliche Prüfung. Nun war genügend Zeit für den Theorieunterricht beim Vater, für Klavier- und Geigenstunden und erste Kompositionen. Klarinetten-, Saxophonträume scheiterten - sein Zwerchfell war zu hoch gelagert, die Atmung klappte nicht. Kurt Oppenheimer, Konzertmeister der Städtischen Oper, wohnte bei ihnen und machte Alfred das Schlagzeug interessant.

Oskar Guttmann schaffte es, Alfred im Konservatoriurn der Hauptstadt Berlin, dem früheren Stern'schen Konservatorium, anzumelden - noch gab es dort keinen Arierparagraphen, sechs Monate währte die schöne Zeit. Theodor Schönberger, der letzte jüdische Lehrer am Konservatorium, gab ihm Klavierunterricht. Auch einen Schlagzeuglehrer fand er - Hans Hansen vom Rundfunk, einen umgemein anständigen Menschen.

Alfred fing an, sehr viel zu komponieren und genau so viel zu zerreißen. Jazzmäßige Sachen waren schon dabei und Volksliederbearbeitungen, die allerdings, laut Urheber, nach verkrachtem Krenek, Hindemith oder Weill klangen.

Doch dann hatte Alfred Goodman die erste beeindruckende Lehrer-Begegnung, die sein künstlerisches Schaffen prägen sollte: Sigmund Petruschka (später Shabtai Petrushka) wurde sein erster Arrangierlehrer. Petruschka spielte mit ihm im "Jüdischen Kulturbund-Orchester", gab Hinweise, wie man Platten kopiert und die Qualität anderer Arrangements fürs eigene Schaffen nutzen kann.

Das Opus 1 entstand. Lieder für Gesang und Klavier, nach Texten von Julian Arendt, Arno Nadel und Ludwig Strauß. Paula Guttmann sang sie im "Kulturbund". War noch ein bißchen Schönberg, kritisierte Karl Wiener wohlwollend in der "Jüdischen Rundschau".

Der Exodus dezimierte die jüdische Gemeinde weiterhin, die politische Situation wurde immer ernster. Alfreds Liebe zu Tucholsky, Kästner, zu "sophisticated" Schlagern und seine ungeheure Vorliebe für amerikanische Schlager war suspekt. Es war nicht nur Gershwin, ich hatte von allen die Klaviernoten und habe sie durchgearbeitet, wußte, wer war wer, und später habe ich einige von ihnen kennengelernt - die 'unbekannte Prominenz', wer kennt schon Harry Warren, "42nd Street" hat er geschrieben - einer der größten Songwriter Amerikas.

Gleichzeitig liefen die Auswanderungsbemühungen der Familie Guttmann, vor allem für den Sohn. Die Mutter spürte entfernte Verwandte in Kalifornien auf, die tatsächlich das ersehnte Affidavit gaben, die Zusicherung, finanziell für sie die Verantwortung zu übernehmen. Nun hatte der junge Mann seine Hauptbeschäftigung. Tausend Papiere galt es zu beschaffen, zu erwarten. Die Musterung mußte sein, so wollte es das Gesetz. Einen Paß brauchte er, ein Visum für Shanghai, die offene Stadt, um eine Ausreise zunächst nach England zu beschleunigen, zu erleichtern... Es sollte fast noch ein Jahr dauern, bis es wirklich so weit war. Ein merkwürdiges, ein gefährliches Jahr. Ein beständiger Austausch war lebens-, überlebenswichtig. - wer war anständig, vor wem hieß es, auf der Hut sein?

Man traf sich im "Mocca Efti", dem mondänen Tanzlokal. Tanztees am Nachmittag gaben die Chance, alle Tanzorchester anzuhören. Und Alfred arrangierte. Diesmal waren es moderne, neu komponierte jüdische Volkslieder. Die Anregung kam von Jakob Schönberg, einem entfernten Verwandten von Arnold. Der brachte ihm in jenen Wochen auch die Theorie von Hugo Riemann bei. Schönberg blieb ein Freund bis zu seinem Tod.

Und noch einen Freund gab es in dieser Lebensphase, wieder eng verwoben mit der Musik: Wolfgang Portner. Die Eltern hatten ein gastliches, offenes Haus, seine Schwester Ann alte Jazz-Platten. Anregende Diskussionen über Musik, gemeinsame Theaterbesuche... Und so entstand die für Guttmann so wichtige Beziehung zum Kunstmaler Joseph Oppenheimer, der seit 1908 in London lebte.

Im Spätfrühjahr 1938 emigrierten alle Portners bei Nacht und Nebel nach England und versprachen, Alfred nachzuholen. Am 6. April 1939, einem Gründonnerstag, verließ er, zu "Guttmann, Alfred Israel" geworden, Berlin und Deutschland. Zehn Reichsmark hatte er in der Tasche, und zwei Koffer - einen voller Schallplatten.

Es war ein neues, atemloses Leben in London. Vom BBC-Unterhaltungsorchester erhielt er Aufträge für Arrangements. Er arbeitete unter dem Pseudonym Fred Manfeld bei den "Four and Twenty Black Sheep", einem Emigranten-Kabarett, in das er als Chansonschreiber von Ernst Hermann Meyer eingeführt wurde, dem späteren Musikzar der DDR. Er traf Willi Wolpe-Wooping, den Bruder des Komponisten Stefan Wolpe, Heinrich Fischer, Annemarie Hase, die durch Hollaender berühmt wurde, und John Heartfield.

Am 3. September 1939 erklärte Chamberlain Deutschland den Krieg. Kurz darauf kam die Aufforderung vom US-Konsulat, er durfte über den großen Teich reisen! Er buchte sofort die Überfahrt. Am 18.1.1940 begann die abenteuerliche Reise, am 26.1. stand er tatsächlich auf dem Boden der Neuen Welt, in New York. Die Eltern holten ihn ab. Sie hatten die Flucht über Norwegen geschafft.

Acht Tage nach seiner Ankunft wurde er Mitglied der Gewerkschaft und stellte den Antrag auf Einbürgerung. Nun begannen die Jahre des "rat race": Ich war jung, für mich war nur wichtig: Renne, renne, straggle, kriege Kontakte... Die Amerikaner waren Arbeitstiere, und ich wollte zeigen, was ich konnte.

Er machte alles, was ihm angeboten wurde, klapperte alle Agenten ab, spielte Klavier auf Parties, Hochzeiten, in Clubs... das war kein Spaß, aber es brachte Geld. In Amerika war das Klavier das Instrument fürs Überleben - er begleitete Sänger und Bands, lernte so die amerikanischen Songs kennen und viele ihrer Komponisten. Die ersten Schritte tat er mit Hilfe von anderen Emigranten, einige Lebensfreundschaften entstanden, die zu Max Hamlisch etwa, dessen Sohn Marvin später "Chorus Line" komponierte.

Er traf emigrierte Schlagerschreiber, Martin Friedeberg, den Erfolgskomponisten von "Wenn am Sonntagabend die Dorfmusik spielt". Der nahm ihn mit zum Brill-Building, in dem alle Musikverleger saßen. Mittwochs und freitags zwischen 2 und 4 Uhr gaben sich da alle Songwriter ein Stelldichein.

Dezember 1941 kam die Nachricht vom Überfall auf Pearl Harbour. Kurz darauf folgte die amerikanische Kriegserklärung an Deutschland.

Der junge Emigrant wurde einberufen und, wie jeder Armeeangehörige, automatisch Amerikaner. Seinen Namen wechselte er erst 1943, Guttmann wurde zu Goodman. Die Zeit in der Armee war kurz, aber intensiv. Nach einer schweren Lungenentzündung kam er zur Musiktruppe, zur "Moral Division". Goodman spielte Percussion und schrieb Big Band-Arrangements. Aus Gesundheitsgründen entließ ihn die Army Weihnachten 1943.

Ein neuer Anfang mit viel Arbeit in New York. Er schrieb für kleinere, unbekannte Big Bands. In dieser Zeit lernte er Jimmie Lunceford kennen. Ich habe ihn unheimlich geschätzt. Er hatte das, was man in Amerika "The Musicians Band" nannte. Man kannte ihn, aber populär war er nicht. Kommerziell nämlich hat er keine Rücksicht auf Popularität genommen.

Das Procedere einer Auftragserteilung: Goodman brachte seine Arbeiten zu den Proben, was gefiel, wurde genommen. Einmal wollte Lunceford Rumbas. Goodman produzierte Latin Beat. Too much Swing, not enough Latin! befand Lunceford, aber Joe Thomas und Jimmy Crawfford, der Schlagzeuger, grinsten sich eins. We are a Swing band! Es wurde doch noch genommen. Irgendwo gibts davon eine Platte... Das rührt ihn noch in der Erinnerung. Lunceford und seine Musiker gingen auf Tournee, wollten später weiter mit ihm arbeiten, aber Jimmie Lunceford starb während einer Autogrammstunde, mit 45 Jahren.

Im Juni 1948 heiratete Goodman Edith Foehr, eine Halbjüdin aus Trier, die seit 1935 in Amerika lebte. Zu jener Zeit arbeitete er viel im Café Vienna in der 77th Street. Er machte Floor shows, Transkriptionen, nicht einmal vorm "Weißen Rössl" schreckten er, Leo Pleskow und Dave Kaufman zurück. Das Programm war eine Mischung aus Amerikanisch, Spanisch und Österreichisch. 1948 war überhaupt ein interessantes Jahr für Goodman. Der Sänger Jack Seully hatte ihn ins "Progressive Citizens Committee" für Kunst und Kultur gebracht. Die Freundschaft mit Alex North, dem Komponisten von "A Streetcar named Desire" schloß er dort; um ein Haar wäre er ihm später nach Hollywood gefolgt. Sascha London lernte er kennen, und Rudolph Goehr, der ihn wieder zum Komponieren verleitete.

Jack Seully unterrichtete an einem kleinen Konservatorium an der 77th Street und stellte Goodman Teddy Wilson vor. Wilson merkte schnell, daß er keinen großen Jazzpianisten vor sich hatte, sondern jemanden, der was lernen wollte, und machte Alfred Goodman mit Benny Goodman bekannt. Für ihn schrieb Alfred ein Stück, das der gleich perfekt vom Blatt spielte. Its a funny piece, but its alright! Und es war angenommen. Auch das Umschreiben von alten Arrangements brachte seine Handschrift in die Archive. Nach einer Tournee wurde Benny Goodmans Band wieder aufgelöst. Die Freundschaft zu Teddy Wilson blieb, immer wieder trafen sie sich, bis zu Wilsons Tod.

Anfang der 50er Jahre traf die Rezession auch die Big Bands. Alfred Goodman beschreibt sich als good arranger, no great arranger - und folglich tat er einen großen Schritt, den Teddy Wilson so kommentierte: He switched to the classics! Goodman wollte ein solides Fundament für seine Kompositionen. Seit ein paar Jahren war er als Gasthörer an der Columbia University zugelassen, nun wollte er ernsthaft ein Degree. Seine deutsche "Reifeprüfung" wurde nicht anerkannt, aber er wurde er von den naturwissenschaftlichen Fächern befreit. Im Februar 1951 legte er den Bachelor, 1952 seinen Master of Arts ab.

Alfred Goodman sieht sein Leben als Mosaik, Mosaik von Menschen, von Berufssplittern. Die Zeit an der Columbia fügte wichtige, zentrale Figuren hinzu, Otto Luening zum Beispiel, den verehrten Meister, den Professor für Komposition. Was ich heute technisch, handwerklich kann, kann ich durch ihn. Und er ließ uns schöpferisch arbeiten, und aus dem Schöpferischen kam das Handwerklicbe. Er war sehr streng sehr nett, aber sehr anpruchsvoll. Heute noch, wenn wir über Komposition sprechen, glaube ich, ich sitze bei ihm im Seminar. Sie sprechen öfter miteinander, denn die Freundschaft ist von der langen Zeit und dem größeren Abstand der Lebensräume nicht geschwächt worden. Erich Hertzmann war zuständig für Musikwissenschaft, Henry Brant leitete den Arranger's Workshop. Neben Harvard und Yale galt die Columbia damals als das Schwerste überhaupt. Ich habe gearbeitet wie ein Besessener. Von 1947 bis 1952 habe ich fast 50 Werke komponiert, die Seminare absolviert, nebenbei Club-Jobs gemacht, Shows arrangiert und transkribiert, also Geld verdient. Nun war ich fertig und hatte immer Angst, vor das McCarthy Committee zu kommen. Zitiert allerdings wurde er, aus welchen Gründen immer, doch nicht. Glücklicherweise.

Noch einer Episode von biographischer Bedeutung sei gedacht: Kurt Weill starb 1950, und Goodmans Freund Rudi Goehr organisierte ein Memorial Concert. Geld war keins da, also kein Orchester erschwinglich, nur 2 Klaviere. Goodman saß an dem einen, Walter Joseph am anderen, Joseph, der in Berlin eine wahre Einrichtung war. Lotte Lenya, Dolly Haas, Ralf Herbert, Stefan Schnabel, Maurice Levine, Milton Rosenstock, Eiliot Arluck trafen sich... Die Arbeiten begannen. Es gab 3 Konzerte in der Town Hall, Erfolge, gute Kritiken und die Hommage an den großen Künstler, der Alfred Goodman auf ganz innige Weise vertraut war, auch wenn er ihn nie persönlich kennengelernt hatte.

Goodman selbst charakterisiert seine eigene musikalische Entwicklung so: Arnold Schönberg hat mich geprägt, aber kreativ hat er mich nicht beeinflußt, auch wenn ich manchmal zwölf Töne in meinen Themen genommen habe. Kreativ, gestalterisch war Kurt Weill für mich maßgebend, informativ, vielleicht auch beeinflussend. Weill war Busoni-Schüler und Goodman hat die Musik Busonis vergöttert. Dies mag ein merkwürdiger Zufall sein, denn seine Verehrung für Kurt Weill kam eigentlich durch die Entdeckung der "Dreigroschenoper" als Kind in Breslau.

Auch der frühe Strawinsky hat ihn beeinflußt, der frühe Bartók, der frühe Prokofieff, der aufmüpfige. Die Liebe zu Bach und vor allem zu Händel kam vom Elternhaus, die Liebe zum Barock, zu den alten Italienern auch. Beethoven habe ich später schätzen und lieben gelernt, vor allem seine Kammermusik, und durch das Erleben des für mich besten Beethoven-Dirigenten überhaupt, durch Pierre Monteux. Mozart ist eine Station in meinem Leben, seine Musik hat von der Basis gewirkt. Ich habe auch bei Mozart immer wieder Neues entdeckt. Ja, und Ellington war für den Jazz das für mich, was Kurt Weill in meiner kreativen Arbeit war. Sein Stil, seine harmonischen Strukturen, die Musiksatztechnik, die er erfunden hat, sein Durchbrechen der melodischen Tonalität - das hat mich mitgeprägt.

Vieles davon mag Goodman weitergegeben haben, vermittelte es weiter als Didaktiker. Nach dem Studium nahm er ein Angebot des "Henry Street Settlement" in New York City an, Theorie, Kontrapunkt und Arrangement zu lehren.

Gleichzeitig kam der Film in Alfred Goodmans künstlerisches Leben. Er lernte den Musical Director der MovieTone, Jack Shaindlin, kennen. MovieTone saß in New York und machte für die 20th Century Fox Dokumentarfilme. Man konnte davon nicht leben, aber es war interessant, denn man mußte seine Partituren selber schreiben. Es gab keinen Orchestrator und man mußte bestimmte Techniken einhalten. Shaindlin hat mich bestens eingearbeitet, ich machte sogar zwei Dokumentarfilme allein: "Horizons North" und "Rooftop of Harlem". Ja, und nebenbei schrieb er auch noch für den "Aufbau" Kritiken. Eine Reihe gut gefüllter Tage fürwahr.

1948 komponierte er eine kleine Oper und gewann dafür 1954 einen Preis. Die University of Ohio in Athens, Ohio, hatte mit einem Preisausschreiben gute Einakter gesucht. Goodman war mit "The Audition" erfolgreich, die er nach einem Szenario von Elliot Arluck geschrieben hatte. Doch Auszeichnung ist nicht gleichbedeutend mit Aufführungsgarantie: die Oper blieb liegen. Anfang der 50er Jahre lernte er Harry Frommermann kennen, den Gründer der legendären "Comedian Harmonists". Wieder entstand eine wirkliche Freundschaft. Frommermann, der als Fabrikarbeiter in New Yorck unter dem Namen Frohman sein Dasein fristete, schrieb den deutschen Text. In den 60er Jahren gab es mehrere Aufführungen am Stadttheater Pforzheim und 1992 fand in München beim Bayerischen Rundfunk die konzertante Aufführung von "The Audition", deutsch "Der Schauspieler", mit großem Erfolg statt.

Auch ein Kinder-Musical hat er komponiert: "Comics for Carter". Der Autor, Henry Koller, arbeitete mit Kindern zusammen. Und bei diesem Projekt saß Pablo Tanzer an einem der Klaviere, dessen Sohn Francisco in Goodmans Leben später wichtig wurde. Er schrieb Poesie, die Goodman vertonte, "Checking-in"-Lieder, "Acht Gesänge" und anderes. Durch Tanzer fing er wieder an, über Musik nachzudenken, zu sprechen. Eine Oase in der kommerziellen Wüste.

Dann kam das Angebot, für "Westminster Records" Quality Control zu machen, die neu herausgebrachten Platten, darunter die ersten HiFi-Aufnahmen, auf Fehler abzuhören. Sein gutes Ohr hat ihm dabei sehr geholfen.

Aber Goodman war unzufrieden geworden. Ich wurde sehr realistisch, der American Dream hatte nachgelassen. Columbia hatte mich wachgerüttelt. Ich komponierte sehr viel und hatte Aufführungen, aber politisch litt ich, und im Showbusiness war auch wenig los, Leerlauf. Da hatte ich die Idee, nach Europa zu reisen.

1958 setzte er sie in die Tat um. Sechs Wochen wurden daraus, zurück kam er mit jeder Menge neuer Kontakte. Das führte dazu, daß er 1960 New York aufgab. Goodman wäre gern in London geblieben, aber die Aufträge von deutschen Radiostationen ließen Deutschland attraktiver erscheinen. Nach zwei Jahrzehnten Exil also die Rückkehr. Ein verblüffend freundlicher, offener Empfang für den Skeptiker, den Kosmopoliten. Ich bekam Aufträge, ich dachte, ich hör' und seh' nicht recht! In Berlin fühlte er sich nicht mehr heimisch, so wurde denn München zu seinem Wohnort. Jenes München, das in den frühen 60er und 70er Jahren vor kultureller Aktivität schier zu explodieren schien. Die Rundfunkanstalten gaben ihm Aufträge für Funk und Fernsehen. Er schuftete und knüpfte viele Kontakte.

Ich hatte das Glück, in Kreise von Deutschen zu kommen, die aufgeklärt waren. Daß da viele Mitläufer und Nazis dabei waren, wußte ich. Aber jüngere, sehr linke Leute haben mich überzeugt. Vielleicht hat man damals aufrichtiger über die NS-Zeit gesprochen als heute? Vielleicht hat man mich auch geschützt. Komplikationsfrei auf alle Fälle verlief das neue Leben in Deutschland nicht. Auch die Ehe mit Edith ging in die Brüche.

Alfred Goodman schrieb Chansons, die Filmmusik zu "Nackte Jugend", und ging mit Heinz Schlüter aus Dresden als Pianist gegen gute Bezahlung auf eine große Tournee. Dabei kam es zu einer entscheidenden menschlichen Begegnung: Er lernte Renate Rössig kennen. 1963 zogen sie zusammen und heirateten.

1964 hatte Goodman eine besondere Idee, die ihm Jahre später noch mit dem Bundesverdienstkreuz gelohnt wurde: Im Verbund mit seinem alten Lehrer Otto Luening gelang es ihm, das Amerikahaus und das Kulturreferat in München sowie die United States Information Agency (USIA) in Washington für eine Reihe von Konzertabenden mit Neuer Musik aus beiden Welten zu interessieren. Diese "German-American Interpretation of Contemporary Music" sind in die Annalen der Münchner Kulturhistorie eingegangen. Bis 1973 wurden Werke von 125 lebenden Komponisten aus Deutschland und Amerika aufgeführt; die Deutschen interpretierten die amerikanischen Komponisten, die Amerikaner die deutschen. Goodman, der Komponist, machte die Programme, Milton Forstat, vormals Cellist der New Yorker Philharmoniker, kümmerte sich um die Interpreten. Eine für alle befriedigende Arbeit.

1968 ging Goodman für ein Jahr mit einem Stipendium des DAAD nach Berlin, 1971 wurde er beim Bayerischen Rundfunk als Lektor für Ernste Musik fest angestellt, ein Meilenstein in der Zusammenarbeit mit dem langjährigen Leiter der Hauptabteilung Musik, Dr. Siegfried Goslich.

Schon liefen auch die ersten Kontakte zur Hochschule für Musik in München, eine Vortragsreihe zur "Geschichte der amerikanischen Musik" wurde etbliert. Verwunderlich bleibt, woher Alfred Goodman den Mut nahm, sich auch noch eine Promotion zuzumuten. Zwei Jahre Zusatzstudium und die Vorbereitung in den Nebenfächern Amerikanistik und Pädagogik folgten. 1972 schloß er bei Carl Dahlhaus an der TU Berlin mit einer Arbeit über "Die amerikanischen Schüler Franz Liszts" ab. Zwanzig Jahre nach Abschluß des Studiums an der Columbia University war Goodman nun ein deutscher Dr.phil. Die Welten trafen sich, ein Kreis war in einem Menschen geschlossen.

Goodman blieb angeregt und offen für die sogenannte "leichte" und "ernste" Musik. Im Auftrag des nationalen olympischen Kommittees arrangierte er die Olympia-Hymne neu und schrieb die offizielle Musik für die Wettbewerbe der Turnerinnen. Eine pikante Aufgabe! Würde den Russen seine Count-Basie-inspirierte, moderne Musik gefallen? Irgendwie brachten die zunächst so heiteren Münchner Spiele alles zum Zusammenklingen. Goodmans Musik wurde angenommen.

Von 1976 bis 1990 lehrte er regelmäßig an der Hochschule für Musik - Arrangement, Geschichte des Jazz, Partitur für Big Band, Musiktheorie, Kontrapunkt, Analyse.

1984 wurde er vom Bayerischen Rundfunk in den Ruhestand versetzt. Aber einer wie er kann wirklich nur den Unruhestand erreichen. Goodman engagierte sich im Beirat der Dramatiker-Union, übernahm die regionale Vertretung der Berufskollegen im Interessenverband Deutscher Komponisten, hielt Vorträge zur amerikanischen Musik und ihrer Geschichte, druckte Kompositionen und Vorträge, arbeitete als Manager in eigener Sache. Ein Fazit? Wie blickt er auf sein Leben, wie zieht er Zwischenbilanz: Ich bin ein Skeptiker, aber kein Pessimist. Erfolg in Amerika ist ein Lotteriespiel, ganz egal, ob die Songs gut sind oder nicht. Ich wäre vielleicht gern ein großer Filmkomponist in Hollywood geworden, aber meine Glückssträhne auf dem Gebiet hat nicht gereicht. Durchs Leben habe ich gelernt, ein Realist zu sein - in meiner Arbeit und in meinen Beziehungen zu den Menschen, speziell zu den deutschen. Das halte ich für sehr, sehr wichtig. Ich hätte vielleicht viel mehr Erfolg, wenn ich mehr Kompromisse gemacht hätte. Ich habe in meinem Leben vielleicht keine oder zu wenige Kompromisse gemacht, aber ich bedaure es nicht, auch wenns vielleicht manchmal falsch war.

Kann so etwas falsch sein? Es sieht so aus, als brauche das Musikleben, brauche das kulturelle Leben unserer Tage mehr Menschen, die nicht bereit sind, Kompromisse zu machen.